Man könnte ein eigenes Buch über jene fünf Tage schreiben, die ich gemeinsam mit Roswitha Huber, einer Musikerin, einem Journalisten und einem nicht mit einem einzigen Begriff beschreibbaren Tausendsassa Anfang April in Zentral-Albanien verbracht habe. Nicht zu vergessen unser Dolmetscher, der grandiose albanische Musiker und Wahlösterreicher Orges Toçe, der immer dann schwer arbeiten musste, wenn es um Fachchinesisch in Sachen Brot und Landwirtschaft ging.
Eingebrockt hat uns die Reise (kein Urlaub!) Roswitha Huber, die über einen Freund erfuhr, dass der Musikethnologe Eckehard Pistrick bei seiner Recherche nach traditioneller albanischer Musik immer wieder auf Brot stieß. Diese Äußerung ließ ihr keine Ruhe und die Reise war in Sack und Tüten. Über mehrere Ecken wurde Orges als Dolmetscher engagiert, wurden genügsame Mitreisende gesucht und gefunden.
Als ich das erste Mal erzählte, dass ich nach Albanien fliegen werde, war das Entsetzen groß. So weit weg! Das ist doch dort gefährlich! Pass’ bloß auf!
Ganz das Gegenteil ist der Fall. Albanien ist gerade mal knapp zwei Flugstunden entfernt, mediterran geprägt, sehr ländlich mit herrlicher Hügel- und Berglandschaft. Das Meer (Adria) und Italien sind nicht weit. Griechenland und Kroatien sind die Küstennachbarn. Ein unentdecktes Reisejuwel. Die Gastfreundschaft ist bestechend und das Essen noch mehr. Einflüsse aus Italien, Türkei, Griechenland und anderswo. Orthodoxe, Katholiken und Muslime leben in gegenseitigem Einvernehmen miteinander statt gegeneinander.
Die gesamte Reise über bestätigte sich mein Eindruck, dass das Essen umso besser und die Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen umso größer sind, je weniger “zivilisiert” und “modernisiert”, pauschal gesagt je ärmer eine Gesellschaft ist. Zwar hat offenbar jeder noch so entfernt wohnende Albaner ein Handy und einen Fernseher, aber der Lebensrhythmus ist verlangsamt, entspannt und weitaus weniger ängstlich und bekümmert wie in unseren Breiten.
Unsere Gruppe war zu Besuch bei Dorffotograf und Manager aller regionalen Angelegenheiten Ardjan Berdufi im Dorf Gjinar, ganz nebenbei direkt an einem spannenden geologischen Wechsel gelegen, der fantastische morphologische Unterschiede in der Landschaft schaffen ließ. Ein Traum für die Augen. Dazu das einfache, 100% biologische und 100% selbst angebaute und verarbeitete Essen. Versäuerte Paprikas, Tomaten und Kohlblätter, Milch, Sahne, Quark, Joghurt, Bohnen, Lamm wie man es noch nie gegessen hat, Kartoffeln, die ihres gleichen suchen, Byrek, Bogaçe und ein einfaches, mildes Weizenbrot, hergestellt aus spontangegärtem Weizensauerteig. Die Teigwaren werden noch ein gesonderter Schwerpunkt im Blog sein.
Wir wollten die Brotkultur der Mitte Albaniens zum orthodoxen Osterfest kennenlernen und haben zugleich die Musikkultur erlebt. Eine polyphone und deshalb vom Aussterben bedrohte Musik der Schäfer und ihrer Frauen. Anastas Karaj setzt sich seit Jahren für den Erhalt dieser Musik ein, war schon Gast verschiedener internationaler Folklorefestivals und Teil von beachteten Filmdokumentationen. Er hatte uns eingeladen, sein Dorf zu besuchen.
Da uns sein Engagement, seine Musik und seine Gastfreundschaft so geprägt haben, hat Roswitha Huber beschlossen, die Musikgruppe um Anastas Karaj und unsere Gastgeberin Margarita Berdufi, die ein hervorragendes Brot und Byrek backen kann, zum diesjährigen Brotfest nach Rauris einzuladen. Damit war das Budget des Festes verplant. Besonders imponiert hat uns allen auch Jani Toçi, ein 20-Jähriger, der zum Osterfest in Anastas’ Dorf dabei war und uns beim Dolmetschen half. Sein Traum ist die Malerei und Kunst. Sein hervorragendes Deutsch hat er sich beigebracht, indem er deutsche Fernsehsender sah. Ein äußerst wissbegieriger junger Mann, der eigentlich unbedingt mit zum Brotfest reisen müsste, um seinem Traum etwas näher zu kommen und sein Deutsch zu trainieren. Nur: Das Festbudget ist verplant.
Als wir wenige Tage später in die Dorfbäckerei eingeladen waren, standen wir erneut vor einem Dilemma: Eine hervorragende Bäckerin (Raimonda) und ihre Kollegin, die die Backstube mit einem großen Holzbackofen betreiben, hätten es genauso verdient, nach Rauris zu reisen und über die Brotkultur zu berichten, auch direkt am Teig und am Ofen.
Unsere Idee: Fragen wir andere Brotenthusiasten, ob sie die Reise für die drei Albaner rund um Raimonda und Jani durch Spenden ermöglichen möchten. Dafür habe ich eine Projektseite auf der Spendenplattform startnext mit weiteren Infos angelegt. Bitte schaut sie euch an. Jeder Euro hilft. Wer das Vorhaben mit 45 Euro oder mehr unterstützt, erhält als Dankeschön freien Eintritt zum großen Brotfest-Symposium am 19.9. in Rauris mit spannenden Vorträgen zum Thema Mehl, Wasser, Salz. Auch ich werde dort einen Vortrag halten – über Sauerteig, mit vielen Praxisbeispielen.
Und damit all das nicht zu trocken klingt, hier ein kleines Video mit Impressionen aus Albanien:
Um nun nicht doch ein Buch zu schreiben, folgen reichlich 100 Fotografien mit kleinen Anmerkungen zur Reise.

Ankunft im Hostel in Tirana – empfangen von süßen Orangen vom Baum, die einen noch süßeren Saft gaben.

Direkt neben dem Hostel eine kleine Bäckerei mit dem für Albanien typischen Weißbrot. Roggen ist fast unbekannt.

Hinter die Kulissen durften wir auch schauen. Der Bäcker bereitete gerade die Kränze für das nahende orthodoxe Osterfest vor.

Fertig zur Gare.

Weiter ging es mit dem Auto nach Gjinar, nicht ohne einen Halt in Elbasan, der nächst größeren Stadt südlich Tiranas.

Wir hatten von “Bogaçe” gehört, das in dieser kleinen “Bäckerei” besonders gut sein sollte. Eine Art Strudelteig, in Butter und Salz erhitzt und in ein Brötchen oder Fladenbrot gelegt.

Extra für uns haben die beiden “Bäckerinnen” einen neuen Teig angesetzt, um uns die Herstellung zu zeigen.

Die portionierten Teige werden mit Butter bestrichen, eingeschlagen…

… ausgezogen und…

… durch Schleudern immer dünner gezogen.

Ist der Teig hauchdünn, wird er doppelt bis vierfach übereinandergelegt und im Ofen gebacken.

Kommt ein Kunde, wird der gebackene Teig in Salz und Butter angebraten und ins Brötchen gesteckt.

Mit frischem Spinat zwischem dem hauchdünnen Teig entsteht eine weitere Köstlichkeit.

Vielen Dank Amarilda und Brunilda!

Eine noch wirklich gute Straße auf dem Weg ins Dorf Gjinar.

Albanien ist Mercedes-Land. Kaum ein anderes Auto sieht man so oft als Gebrauchtwagen. Und kaum ein anderes Auto hat derart hohe Kilometerstände (das Fahrzeug auf dem Foto ca. 750.000 km).

Blick von den Bergen auf Elbasan.

Eine kleine, kulturhistorisch wichtige Kirche in einem Bergdorf mit bestechenden Wandzeichnungen.

Großes Bergmassiv an Albaniens Ostgrenze.

Eine Dorf-Moschee – nichts Exotisches in Albanien, sondern Normalität inmitten von katholischen und orthodoxen Kirchen.

Schafherden sind in Zentral-Albanien alltäglich. Die Kultur ist von Schäfern geprägt.

Zu Gast in Gjinar. Kaum eine Minute da, wird uns ein einfaches, aber umso schmackhafteres Essen kredenzt, natürlich mit Lammfleisch.

Hier sollten wir für die nächsten Nächte wohnen.

Hausherrin Margarita Berdufis Weizensauerteig.

Mehl sieben…

Lauwarmes Wasser auf Sicht dazu.

Salz und dann wird nur gemischt.

Fertig ist der Teig für die 1- bis 2-stündige warme Teigruhe.

Die geformten gegangenen Teiglinge vor dem Backen.

Das fertige Brot.

Andere Bäckerin, gleiches Ergebnis.

Locker und mild-aromatisch.

Hirtin vor entschleunigender Kulisse.

Eichenlaub für die Hühner, Eichenzweige zum Heizen.

Kartoffelacker zur Selbstversorgung.

Kirschblüte

Der Frühling ist da…

Vorbereitungen für Byrek zum Mittagessen bei einer zweiten Gastfamilie im Dorf.

Die Teigblätter werden über den Stock hauchdünn ausgerollt.

Je dünner, umso besser.

Zwischen die einzelnen Blätter kommt selbstgemachter Quark…

… und Öl.

Zum Abschluss ein Teigblatt.

… und verrührtes Ei.

Der Byrek-Deckel wird auf Feuer erhitzt.

… und dann auf die Form gestellt, um das Gebäck zu backen.

Fertig.

Dazu gab es unter anderem Lamm in Joghurt. Traumhaft.

Wanderung zu einer wegen ihrer über 500 Jahre alten Wandmalereien weltweit berühmten Dorfkirche mitten im Nichts. Auf dem Bild Roswitha Huber und Orges Toçe.

Orthodoxes Abendmahl mit Fisch.

Grabstätte nahe der Kirche.

Frische Sauermilch – wer von uns weiß noch, wie richtige, unbehandelte Milchprodukte schmecken?

Eine Süßspeise in Zuckerwasser ertränkt und genau deshalb so gut. Leider habe ich den Namen verdrängt.

Im Anschnitt.

Selbstgemachte Karamellbonbons von einer Familie, deren Tochter mit uns perfekt Englisch gesprochen hat, allein durch Schulunterricht.

Auf ins Nachbardorf. Eine Stunde Busfahrt über Straßen, die manch einen lieber Achterbahn fahren lassen. Wir sind eingeladen bei Anastas Karaj, dem Schäfer und Folkloremusiker Zentral-Albaniens.

Überspülte Straße. Albanien hat mit starker Erosion seiner Landflächen zu kämpfen.

Schon von Weitem hören wir Musik. Wir sind richtig.

Ursprünglich nur mit Flöten…

… haben inzwischen auch modernere Instrumente Einzug gehalten.

Ein Szenenspiel mit traditioneller Heirat, bei der der Braut…

… ein Brot und ein Stück Käse gegönnt wird.

Weiterer Ausschnitt aus dem musikalischen Spiel: Schäferrunde mit selbstgebranntem Schnaps und den typischen roten Ostereiern.

Prost.

Traditioneller Tanz.

Die Schäfer und ihre Frauen.

Die Folkloregruppe, wie sie in kleinerer Version auch zum Brotfest nach Rauris kommen soll.

Anastas Karaj.

Es war einmal ein Osterlamm…

Vorbereitungen für das Festtagsessen auf dem Holzofen.

Lammfleisch…

… und Byrek.

Dünn ausrollen…

… mit Quark getrennt übereinander legen…

… und mit glutheißem Deckel backen.

Locker, ganz ohne Triebmittel.

Festtafel mit typischen Gerichten, allen voran einem Schafskopf für die Gäste, um die Frische des Fleisches zu verdeutlichen… Limo und Bier standen wohl eher unseretwegen auf dem Tisch und gehören eigentlich nicht zur normalen Tischausstattung (Schnaps und Wasser schon).

Das Gelage ist fast beendet.

Sonne überall, auch beim Festmittagessen.

Der Dorfbackofen.

Von Außen…

… und von Innen.

Orges, Lutz und Roswitha fachsimpeln über albanisches Essen.

Die Festgesellschaft auf einen Blick.

Vor dem Fest stand die Ostermesse in der kleinen Dorfkirche auf dem Programm.

Kerzen aus Bienenwachs in der Hand, laufen alle Teilnehmenden dreimal um die Kirche, bevor sie einziehen.

Bevor die Flamme den Finger als Docht nutzt, wird sie an die Kirchenmauer gepresst…

… und raucht aus.

Die Osterei-Ausbeute: Wir Gäste wurden besonders reicht beschenkt.

Es ist Brauch, mit seinem Gegenüber in den Ei-Kampf zu treten. Wessen Ei beim Aufeinanderschlagen ganz bleibt, sucht sich einen nächsten Gegenspieler.

Schlichtes Grab.

Verfallene Mühle.

Zerbrochene Mahlsteine vor der Mühle.

Letzter Programmpunkt vor der Rückfahrt nach Tirana: Die Bäckerei in Gjinar. Gebacken wird hauptsächlich mit hellen Weizenmehlen.

Improvisierter Gärschrank.

Hubkneter einfachsten Typs.

Teig für Byrek.

Spinat für Selbiges.

Indirekt beheizter Holzofen. Die heißen Rauchgase werden in den Backraum geleitet.

Brötchen und Brote aus Weizen, hinten links Maisbrote (flach).

Sesambrötchen

Byrek, dünn und knusprig.

Byrek von innen.

Zurück in Tirana: Besuch einer Moschee.

Moschee.

Großer Markt in Tirana mit Orangen, für die man alles andere liegen lässt.

Oliven in atemberaubender Qualität, die sich in keinster Weise im Preis niederschlägt.

Erst haben wir es für Brot gehalten, bei näherem Hinsehen war es doch loser Tabak…

Zum Abschluss ein Konzert mit Orges, der politikkritische albanische Texte mit balkanbeeinflusster Musik kombiniert. Seine rauchige Stimmte passt bestens dazu.

Wann darf man am Abend aus dem Haus treten und solch einen Ausblick genießen? Wir durften, in Gjinar, Albanien.

Vielen Dank Albanien für deine Gastfreundschaft. Wir kommen wieder!
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Der Beitrag Die Brotkultur Zentral-Albaniens erschien zuerst auf Plötzblog - Selbst gutes Brot backen.